Konzert in der Philharmonie

Das Sommerkonzert 2006 der BMV-Schule im Alfried-Krupp-Saal der Philharmonie wurde zu einem Ereignis und Erlebnis der Superlative. Mit dem letzten Taktschlag stand der ganze Saal auf und jubelte und jubilierte, so große war die freudige Anspannung und Begeisterung. Minutenlang wogten Jubel-Raketen zwischen den Chören und dem Publikum hin und her. Jede Übergabe eines Blumenstraußes durch die Schulleitung und die Vertreterinnen der einzelnen Ensembles an das Dirigententeam, an die Solisten und an die Organisatoren entfachte neue Jubelstürme.
 
 
Was war diesem fast unbeschreiblichen Schlussapplaus vorausgegangen? Eine großartige und teilweise einzigartige musikalische Leistung aller Ensembles und der Solisten.

 
Die Antike lebt - Dieses Motto bestätigt sich im Programm unseres diesjährigen Sommerkonzerts in vielfacher Weise. So zitiert der Komponist Flor Peeters in seiner Intrata festiva die Melodie von „Christus vincit“ aus dem lateinischen gregorianischen Choral und verweist damit auf frühchristliche Musik des östlichen Mittelmeerraumes. Viele der heute weithin bekannten Kirchenlieder haben ihren Ursprung in diesen Melodien.

Archaisch-volksmusikalische Rhythmen liegen demgegenüber den Kompositionen des osteuropäisch - slawischen Kulturkreises zugrunde, so auch Bedrich Smetanas „Tanz der Komödianten“ und Nicolaj Rimskij-Korsakoffs „Tanz der Gaukler“.

Die sagenhafte griechisch-antike Erzählung von Daidalos, dem mythischen Ahnherrn der bildenden Kunst und Erfinder des menschlichen Fluges und seinem Sohn Ikarus hat viele B.M.V.-Schülerinnen der Jahrgangsstufen 5 und 6 dazu herausgefordert, sich als Balladen-Dichterinnen zu erproben. Über 30 Gedichttexte, durchweg sprachlich anspruchsvolle und oft witzig-humorvolle Nachschöpfungen der alten Geschichte standen zur Auswahl, 6 davon hat Lateinlehrer Markus Nesemann zu Liedern vertont, die Musiklehrer und Chorleiter Hermann Godland dann zu vielstimmigen Sätzen erweiterte und für Chor und großes Orchester arrangierte. Bei genauem Hinhören ist so manche musikalische Besonderheit zu entdecken, von den Leitmotiven für die beiden Helden der Geschichte – das Cello verkörpert den eher bedächtigen Daedalus, der wagemutige Ikarus „erscheint“ in der Trompete – bis hin zum versteckten Tatort-Erkennungsmelodie-Zitat... Die instrumentalen Intermezzi bilden eine Klammer um die einzelnen Lieder und verbinden sie so zu einem großen Ganzen.
Den umfangreichen ersten Teil des Konzertes füllen einige Instrumentalwerke. Der dritte Satz der SONATE für Violine und Klavier von Edvard Grieg, von H. Godland für das große Orchester instrumentiert, wurde von Sophia Deck einfühlsam vorgetragen.
Zwei Sätze aus Ottorino Respighi’s ANTICKE DANZE ED ARIE nahmen das Konzert-Motto treffend auf.
Die Sätze 1 und 3 aus dem Konzert von Max Bruch für Klarinette, Viola und Orchester wurden von Amelie Gundlach und Laura Escanilla Rivera konzertant musiziert.

Auch Henry Purcells Oper „Dido und Aeneas“, uraufgeführt 1689 in einem englischen Mädchenpensionat, gestaltet einen Stoff der antiken Sagenerzählung, der auf das dritte vorchristliche Jahrhundert zurückweist und später von Vergil in das Heldenepos der Aeneis eingebunden wurde:
Zwischen Dido, einer tyrrhenischen Königstochter, die vor ihrem Bruder und Mörder ihres Mannes nach Nordafrika geflohen ist und dort Karthago gegründet hat, und Aeneas, der nach dem Untergang Trojas auf seiner Irrfahrt an ihren Hof gelangt, entwickelt sich eine tragische Liebesbeziehung. Aeneas reist weiter, um dem Gebot der Götter entsprechend Rom zu gründen, die tief gekränkt zurückbleibende Dido wählt daraufhin den Flammentod.
Purcells Vertonung dieses Stoffes – die einzige, die bis in die Gegenwart hinein nicht in Vergessenheit geraten ist - steht in der Tradition der Schäferidylle, die besonders im 17. und 18. Jahrhundert sehr beliebt war, ist aber auch geprägt von einer eindringlichen musikalischen Textausdeutung im Sinne der barocken musica poetica. Dies zeigt sich besonders in Didos Abschiedsarie „When I am laid in earth“, einer Chaconne, deren immer gleich bleibende Baßbewegung im Quartraum chromatisch abwärts schreitet, hörbar als emphatischer Ausdruck des Schmerzes.

Carl Orff komponierte seine Carmina Burana, benannt nach einer mittelalterlichen Sammelhandschrift aus dem 12. Jahrhundert, wiederentdeckt zu Beginn des 19. Jahrhunderts im Kloster Benediktbeuern, in den Jahren 1935 – 36. Sie gelten als Orffs bekannteste Komposition und markieren nach seiner eigenen Auffassung den eigentlichen Beginn seines kompositorischen Lebenswerks. Hier verwirklicht er exemplarisch seine grundlegenden Schaffens-Intentionen: Einerseits soll der Zuhörer und Betrachter „an die Urkräfte und Urformen der Musik herangeführt“ werden, andererseits sollen sich Sprache, Musik und Bewegung zu einer Einheit verbinden. In den Texten der Carmina Burana fand Orff eine ideale Vorlage zur Verwirklichung seines künstlerischen Anliegens, da sie epochenübergreifend sprachliche und formale Modelle der antiken lateinischen, der mittelhochdeutschen und der altfranzösischen Dichtung sowie Mischformen daraus zusammenführen.
Die antike Versmetrik und die akzentsetzende Rhythmik der mittelalterlichen Lyrik finden ihre Entsprechung in einer primär rhythmisch geprägten und an den Formprinzipien der Wiederholung orientierten Musik: in strophischen Formen, Ostinati und motivischen „Pattern“, die archaische Bewegungsmuster nachbilden.
Das formale Konzept der Komposition folgt nicht der Anordnung der Texte im Codex buranus. Die drei Hauptteile: I. „Frühlingsanfang“ – II. „Im Wirtshaus“ - III. „Liebesreigen“, die nur eine kleine Auswahl der über 250 Texte aufnehmen, vergegenwärtigen mitunter durchaus deftig oder satirisch-parodistisch existenzielle menschliche Erfahrungen. Sie werden überspannt von einer gewaltigen chorischen Anrufung der Fortuna als „imperatrix mundi“, als eigentlicher Weltenherrscherin und somit Verkörperung der Leitidee der Schicksalsverfallenheit aller Menschen. Wie das Rad des Schicksals und des zufälligen Glücks die Fortuna als allegorische Figur kennzeichnet, schließt sich der Kreis des Werkes mit der Wiederholung des Eingangschors.